Der Automotive-Sektor ist auf allen Ebenen im Wandel. E-Fahrzeuge ersetzen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, Autos werden immer mehr zu smarten Gadgets und jüngere Generationen suchen nach Möglichkeiten, kein eigenes Auto mehr besitzen zu müssen.
So zeigt eine aktuelle Studie des TÜV-Verbandes über die Zukunft der Mobilität, dass 56 Prozent der Deutschen sich wünschen, dass der gesamte Mobilitätsbedarf durch den öffentlichen Nahverkehr gedeckt wird. 70 Prozent fordern außerdem mehr und bessere Radwege und 26 Prozent möchten sich demnächst ein E-Auto anschaffen.
Alle Akteure im Automobilsektor sind von den Veränderungen und den Herausforderungen der Automobilindustrie betroffen. Die OEMs oder direkten Zulieferer müssen ihre kompletten Produktionsprozesse und Lieferketten transformieren; die Entscheidungen der Konsumenten werden zunehmend von Nachhaltigkeit, Digitalisierung und technologischen Anforderungen geprägt.
Wenn es den OEMs gelingt, ihre Prozesse völlig neu aufzustellen und dabei den Kundenwünschen gerecht zu werden, ist das Potential aber gigantisch. Prognosen für die Automobilindustrie des Center of Automotive Management zeigen zum Beispiel, dass Services im Bereich der Connected Cars im Jahr 2030 einen Umsatz von circa 900 bis 1.100 Euro pro Fahrzeug erzielen können. Weltweit würde das ein Marktvolumen von über 200 Mrd. Euro bedeuten.
‘Software definiert Mobilität neu und verändert die gesamte automobile Wertschöpfungskette. Der Wettbewerb um Innovation und Wachstum findet zweifellos im Fahrzeug statt.’ Ralf Blessmann, Leiter des Automotive Sektors bei Capgemini in Deutschland.
CASE ist seit einiger Zeit das bekannte Akronym für die wichtigsten Automotive-Trends. Das Auto der Zukunft ist connected, autonomous, shared und electric. In diesem Artikel stellen wir nun allerdings die zwei großen übergreifenden Themen in den Fokus: die Softwareisierung oder Smartification und die Nachhaltigkeit. Und wie die CASE-Trends sind auch die beiden Themen miteinander verknüpft.
Autos in der Zukunft werden immer mehr zu hochkomplexen Kommunikations- oder Datenzentren mit integrierten Hardware-, Software- und Cloud-Komponenten, die permanent auf allen Ebenen kommunizieren:
Die erfolgreiche komplette Vernetzung des Autos mit der Umgebung (V2X) ist letztendlich auch die Voraussetzung für autonomes Fahren. Wichtig für die Nutzer ist außerdem, dass sich das Auto nahtlos in ihr Ökosystem integriert und die Usability trotz der Vielzahl an Features hoch ist.
Für die OEMs, die sich lange Zeit auf die Optimierung der Hardware bzw. den fest verbauten Ausstattungs-Features fokussiert haben, sind diese Entwicklungen herausfordernd. Sie investieren zwar verstärkt in intelligente User-Interfaces und digitale Services in Bereichen wie Infotainment oder Sicherheit und Komfort, brauchen aber neue Prozesse und Lösungen, um die Softwareisierung des Autos der Zukunft erfolgreich voranzutreiben.
Das Auto der Zukunft wird mehr für seine Benutzererfahrung als für seine physischen Eigenschaften bekannt sein. Konsumenten haben sich an die digitalen und technologischen Möglichkeiten ihrer Smartphones und PCs gewöhnt und wünschen sich von ihrem Auto ähnliche Funktionen. Fahrzeuge werden also immer mehr zu Gadgets, zu Computern auf Rädern, oder sogar noch mehr.
Eine wichtige Rolle dabei spielen smarte User-Interfaces, die immer stärker über KI-Algorithmen gesteuert werden. In den vergangenen Jahren lag der Schwerpunkt dabei auf verbesserten Displays, einer Alexa-Sprachsteuerung und Bedienkonzepten wie zum Beispiel Touchscreens und Fahrererkennung. Ab 2023 sind die folgenden Entwicklungen zu erwarten:
Was bei allen Entwicklungen in diesem Bereich zunehmend wichtig ist, ist die intuitive Benutzererfahrung: Fahrer müssen die Funktionen schnell und problemlos verstehen und sie dementsprechend einsetzen können. Dabei unterstützt auch die Integration von Funktionen aus dem digitalen Ökosystem der Nutzer die Usability. Das Betriebssystem der neuen Polestar Modelle ermöglicht zum Beispiel die Verknüpfung mit dem Google-Account des Fahrers und Volvo- und Tesla-Nutzer können jetzt ganz entspannt auf ihre Spotify-Listen zugreifen. Lexus bietet ähnliche Möglichkeiten und beschreibt die benutzerzentrierte Erfahrung sehr treffend: ‘Unsere Apps vernetzen das Auto mit Ihrem Leben.’
Um die Balance zwischen immer mehr Funktionen und deren Verständlichkeit zu bewahren, entscheiden sich einige OEMs bewusst für eine ‘less is more’ Herangehensweise mit schlichten User-Interfaces und Menüstrukturen. Das Tesla Model 3 hat zum Beispiel nur ein einziges Display in der Mittelkonsole, von dem aus der Fahrer fast alle Fahrzeugfunktionen steuern kann. Auch der Polestar 2 hat eine auffällig einfache Menüstruktur.
Erfolgreich vernetzte Autos, die sich außerdem gut bedienen lassen, sind die Grundvoraussetzung für autonomes Fahren. Die Fahrerassistenzsysteme (ADAS) der meisten OEMs werden immer smarter. In den letzten Jahren wurde viel in den Level 3 investiert, bei dem das Auto im Stau oder bei langsamen Verkehrssituationen bis 60 km/h die Fahraufgabe von dem Fahrer übernimmt. In den nächsten Jahren soll dies auf bis zu 120 km/h erweitert werden.
Auch mit Blick auf den Level 4 Bereich gibt es spannende Fortschritte. Mercedes Benz und Bosch entwickeln zum Beispiel ein voll automatisiertes Parksystem, mit dem ein Auto ohne Fahrer im Parkhaus abgestellt werden kann. BMW setzt auf eine aktive Lenkunterstützung beim Rückwärtsfahren mit einem angekoppelten Anhänger.
Die Fortschritte im Bereich des autonomen Fahrens erfordern neue Sicherheitsstandards und -Lösungen und die Sicherheit der Autos der Zukunft rückt immer mehr in den Fokus.
Für viele OEMs ist die zunehmende Softwareisierung eine doppelte Herausforderung. Neben der Entwicklung von hochkomplexen Software-Systemen, die viel Expertise fordern, müssen sie sicherstellen, dass die Systeme einwandfrei funktionieren. Ist dies nicht der Fall, bringt das immerhin die Sicherheit der Fahrer sowie der anderen Verkehrsteilnehmer in Gefahr.
Im Fokus steht deswegen auch 2023 die Möglichkeit, Fahrzeugdiagnosen in Echtzeit durchzuführen. Diese Fahrzeugdiagnosen werden immer besser, effektiver und intelligenter. Vor ein paar Jahren entdeckten sie reale Probleme, die bereits existierten. Mittlerweile sind die auf KI basierenden Analysen aber so fortschrittlich, dass potenzielle oder drohende Probleme erkannt werden, bevor sie auftreten. OEMs verstehen die Notwendigkeit und investieren zunehmend in gute Diagnosesoftware. Auch (kommerzielle) Anbieter, wie zum Beispiel FlexiHub oder ADAC, ermöglichen Fahrern eine Ferndiagnose per App oder Diagnosegerät.
Der Einsatz von immer besserer Ferndiagnose-Software wird die Kundenzufriedenheit in den nächsten Jahren wahrscheinlich stark erhöhen. Es beugt teure Reparaturen vor und reduziert die Notwendigkeit wiederholter Werkstattbesuche. Außerdem ermöglicht es OEMs immer ausgefeiltere vorausschauende Wartungspläne zu erstellen, was sich positiv auf die Sicherheit der Fahrer auswirkt.
Ein weiterer Punkt, der bei der Sicherheit beachtet werden sollte, ist die Cybersecurity der zunehmend vernetzten Fahrzeuge. Die erfolgreiche Softwareisierung des Autos setzt voraus, dass möglichst viele Daten der Fahrer smart vernetzt werden. Bis zu 120 Steuergeräte eines Autos sammeln momentan Daten. Dazu gehören Infos im Navi und im Entertainmentsystem, aber auch Daten über die Standortsuche, Füllstände, Verriegelung und Ferndiagnose des Autos. Wenn diese Daten in falsche Hände geraten, kann das Auto von außen gesteuert oder sogar komplett übernommen werden - wie bei einem Hackerangriff an einem Computer. Die Sicherheit des Fahrers und der anderen Verkehrsteilnehmer kann so auf alle möglichen Weisen gefährdet werden, zum Beispiel wenn die Steuerdaten für die Bremsen manipuliert werden.
Die neuen Softwaresysteme sollten also so entwickelt werden, dass sie möglichst gut vor Cyberangriffen geschützt sind.
Laut einer Studie von Capgemini glaubten 2021 weniger als 10 Prozent aller OEMs, dass sie Cyber-Sicherheitsmaßnahmen gut umsetzen können. Dies sollte sich bald ändern, denn die EU hat neue Richtlinien im Bereich der Datensicherheit entwickelt. So müssen OEMs ab Juli 2024 ein Cyber Security Management System (CSMS) nachweisen, das Prozesse und Maßnahmen umfasst, die Cyberangriffe abwehren oder schnell bekämpfen können.
Für die OEMs bedeuten die Entwicklungen eine Verschiebung ihres Geschäftsmodells. Früher lag der Schwerpunkt der Kundenbindung auf der Zeit vor und während des Autokaufs, im neuen Automobilmarkt wird die Zeit danach immer entscheidender. Mit anderen Worten: After-Sales-Services rücken verstärkt in den Vordergrund.
Eine zentrale Rolle spielen Over-The-Air-Updates (OTAs): Updates, die die User Centricity oder die Sicherheit des Autos vergrößern. Die Fahrer können sich über eine App, in einem Online-Portal oder direkt im Auto für automatische Updates anmelden oder sie auf Wunsch kaufen. Während sich einige OEMs auf sicherheitsrelevante OTAs konzentrieren, bieten andere immer wieder neue Funktionen für das Entertainment-System an – gerne auch als Black Friday Deal verpackt.
Die deutsche Automobilindustrie braucht mehr Softwareisierung – und sie braucht mehr Nachhaltigkeit. Die beiden Bereiche sind stark miteinander vernetzt. Wie kann die Softwareisierung zu mehr Nachhaltigkeit in der Automobilbranche beitragen? Wir besprechen zwei wichtige Teilgebiete.
Immer mehr Leute entscheiden sich für ein E-Auto. Für die Leute, die sich dagegen entscheiden, ist kompliziertes Laden bzw. die begrenzte Ladeinfrastruktur in Deutschland meistens der Hauptgrund. Laut der Studie des TüVs halten 49 Prozent der Deutschen die Reichweite von E-Autos für unzureichend. Softwarelösungen können das Laden von E-Fahrzeugen benutzerfreundlicher machen, zum Beispiel indem das Ladenetzwerk in das Interface oder das Entertainment-System integriert wird.
Auch die Elektro-Routenplaner haben das Potenzial, mit smarter Software die Lade-Erfahrung zu verbessern. Sie können Ladestopps bei langen Fahrten berücksichtigen, die Restkapazitäten bei den jeweiligen Ladepunkten prognostizieren und/oder umrechnen, wenn der Fahrer schneller fährt als erwartet. In der Praxis tun sich die meisten OEMs in diesem Bereich aber noch sehr schwer. Der Routenplaner des BMW i4 zeigt zum Beispiel nicht an, welche Ladezeit bis zur Weiterfahrt nötig ist. Beim Polestar 2 werden die Restkapazitäten beim Ladepunkt nicht präzise angegeben. Und bei dem Routenplaner des Mercedes EQC sind viele Informationen rund um das Laden in Untermenüs versteckt.
OEMs müssen sich diesen Herausforderungen stellen und die Chancen, die innovative Softwarelösungen bieten, nutzen. Tun sie dies nicht, wird sich das negativ auf ihren Erfolg auswirken.
Das Auto der Zukunft ist vernetzt – aber seine Fahrer sind es auch. Vor allem junge Leute wünschen sich immer weniger ein eigenes Auto, sondern vernetzen sich lieber mit den verschiedenen Mobilitätsformen, die zu ihrem Lebensstil passen. Für den Erfolg dieses sogenannten MaaS-Trends (Mobility-as-a-service) braucht es smarte Softwarelösungen – am besten in Form einer App oder Plattform, die alle Mobilitätsformen einheitlich verbindet.
Auch Carsharing ist ein wichtiger Teil dieser Entwicklung. Leider sind die aktuellen E-Autos, die so stark mit dem persönlichen Ökosystem des Fahrers verbunden sind, nicht sehr dafür geeignet. Ganz einfach gesagt, wäre es für einen anderen Fahrer zu kompliziert, das Auto zu öffnen, laden oder bedienen. OEMs müssen dies in ihrem UX-Design berücksichtigen.
Entwicklungen in den Bereichen Smartification und Nachhaltigkeit haben das Potenzial, die Automobilindustrie grundlegend zu verändern und wichtige Trends wie autonomes Fahren weiter voranzutreiben. Für OEMs bedeutet dies, dass sie ihre Produktionsprozesse, Lieferketten und Geschäftsmodelle komplett transformieren müssen. Sie brauchen dafür neue Automotive-Partner, die innovative Software-Lösungen für sie umsetzen. Nur so können sie die Mobilität der Zukunft aktiv mitgestalten und bei wichtigen Themen wie Smartification und Nachhaltigkeit ganz vorne mit dabei sein.