Die Überalterung der Bevölkerung ist ein großes Problem in der Europäischen Union. 2019 lag der Anteil der Bevölkerung ab 65 Jahren in Deutschland bei rund 22 Prozent, vor zwanzig Jahren waren es lediglich 16,6 Prozent. Das heißt, die Zahl der 65-Jährigen und die der Älteren ist seit 2000 von 13 auf 18 Millionen gestiegen. In den nächsten 20 Jahren wird diese Zahl um weitere 5 bis 6 Millionen wachsen.
Im Zuge der Alterung der Gesellschaft sind immer mehr Menschen in Deutschland von Pflegebedürftigkeit betroffen. Laut Daten des Statischen Bundesamts aus dem Jahr 2017 wurde knapp ein Viertel aller Pflegebedürftigen in Pflegeheimen vollstationär betreut. Die anderen drei Viertel wurden hingegen zu Hause gepflegt: fast 52 Prozent allein durch Angehörige und doppelt so wenige zusammen mit oder durch ambulante Pflegedienste.
Wie könnten digitale Technologien die Senioren ー besonders alleinlebende, pflegebedürftige oder weniger mobile ー und ihre Nächsten dabei unterstützen, Gesundheitsversorgung zu verbessern? Ältere Menschen nutzen schon heute Gesundheits-Apps, um ihre Arzneimittel regelmäßig einzunehmen oder ihre Blutzuckerwerte zu dokumentieren. Mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz wurde die Voraussetzung geschaffen, dass diese Apps zukünftig auch von der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt werden können. Man könnte sich auch fragen, ob Senioren technologischen Neuerungen gegenüber aufgeschlossen genug sind? Bitkom, der Digitalverband Deutschlands, kennt die Antwort: 62 Prozent der älteren Menschen können sich ein Leben ohne Internet nicht mehr vorstellen.
Bitkoms Umfrage hat ergeben, dass mehr als die Hälfte deutscher Senioren regelmäßig einen traditionellen Desktop-PC benutzt. Laptops und Smartphones landen mit über 40 Prozent auf Platz zwei. Die Corona-Krise hat auch ihren Beitrag dazu geleistet: Mehr als jeder achte Senior hat sich wegen der Pandemie neue digitale Geräte angeschafft. Viele Benutzer der Generation 65Plus entdeckten für sich Internetdienste erst während der Corona-Pandemie. Diejenige, die bereits früher online waren, benutzen sie noch intensiver. E-Mails und soziale Netzwerke, Online-Shops und -Banking, Nachrichten und Video-Streaming gehören nun zum Alltag. Wie sieht es mit Telemedizin aus?
Online-Terminvereinbarung, Kommunikation mit Ärzten per E-Mail oder Vergleichs- und Bewertungsportale für Ärzte sind bereits etablierte digitale Angebote. Telemedizinische Anwendungen oder Online-Sprechstunden mit dem Arzt hingegen sind für Senioren neu. Sie zeigen laut Bitkom aber ihre Bereitschaft, zukünftig auf solche Lösungen zurückzugreifen. 40 Prozent können sich laut Studie des Digitalverbands vorstellen, E-Rezepte zu nutzen. Noch mehr Ältere (49 Prozent) sind bereit, Gesundheits-Apps zur Körper- und Fitness-Datenerfassung auszuprobieren.
Ältere Menschen leiden häufig unter mehreren Erkrankungen gleichzeitig, einige davon sind chronisch. Intelligente Geräte, wie Blutdruck-, Blutzuckermessgeräte, Pulsoximeter und Tablettenspender, können älteren Menschen helfen, mit diesen Erkrankungen umzugehen. Pflegekräfte erhalten Daten von verschiedenen Geräten, die mit der Cloud verbunden sind. Sie analysieren und bewerten das übliche Verhalten älterer Patienten und erkennen Gesundheitsprobleme, bevor sie sich verschlimmern. Wenn eine Abweichung vermutet wird, wird automatisch ein Mitarbeiter des Gesundheitswesens benachrichtigt.
Ein Beispiel für IoT-Geräte für Senioren sind vernetzte Blutzuckermessgeräte, die älteren Menschen beim Umgang mit Diabetes helfen. Wenn der Blutzuckerspiegel zu niedrig ist, wird ein Notfallalarm an Ärzte gesendet, um sofortige medizinische Hilfe anzufordern.
IoT-Lösungen eignen sich hervorragend für Behandlung von Arthritis, da die betroffenen Senioren Bewegungsschwierigkeiten haben. IoT-Geräte, wie smarte Beleuchtungssysteme, Türschlösser und Thermostate können die Notwendigkeit, sich zu bewegen, minimieren. Einige Geräte sind auch für therapeutische Zwecke entwickelt worden.
Vernetzte Geräte helfen Senioren, sicherer zu leben. Mehr als ein Drittel der älteren Erwachsenen über 65 erlebt mindestens einen Sturz pro Jahr oder mehr. Intelligente Geräte aus dieser Kategorie zeichnen Bewegungsmuster auf, verhindern und erkennen Stürze und verfolgen den Aufenthaltsort einer Person. Das Pflegepersonal kann außerdem einen Bewegungssensor installieren, der einen Alarm sendet, falls über einen längeren Zeitraum keine Bewegung bemerkt wurde.
Stürze sind einer der Hauptgründe für Verletzungen, manche davon sind auch tödlich. Intelligente Sturzvorhersage-Systeme können Leben retten. Ein System zur Sturzvorhersage und -verhütung zu erstellen ist jedoch eine anspruchsvolle Aufgabe. Bestehende Lösungen konzentrieren sich hauptsächlich auf physiologische Faktoren wie Gang, Alter, Sehvermögen, neurologische Störungen und Kognition. IT-Entwickler solcher Systeme sollten sich jedoch mit der multifaktoriellen Natur von Stürzen befassen, einschließlich intrinsischer und extrinsischer Risikofaktoren, und Analysen unter realen Lebensbedingungen durchführen.
Sturzerkennungssysteme alarmieren den Benutzer und seinen medizinischen Betreuer nach einem Sturz und helfen dabei, sofort medizinische Hilfe zu organisieren. Außerdem messen sie ständig die Bewegungsgeschwindigkeit des Benutzers in alle Richtungen. Solche Geräte verfügen über Beschleunigungsmesser und Prozessoren, die den Unterschied zwischen regelmäßiger Aktivität und einem plötzlichen Sturz erkennen können. Automatische Sturzdetektoren sind mit tragbaren Sensoren ausgestattet, die in Gürtel, Uhren und Schuhe integriert werden können.
IoT-Geräte können auch Änderungen der Luftqualität, der Temperatur, der Luftfeuchtigkeit oder des Kohlenmonoxidgehalts verfolgen und bei Abweichungen und Gefahren ein Familienmitglied benachrichtigen.
Der technologische Fortschritt verändert auch die Art und Weise, wie ältere Menschen mit medizinischem Fachpersonal und Krankenkassen interagieren, wie sie mit ihren Angehörigen kommunizieren und alltägliche Aufgaben wie Lebensmitteleinkäufe erledigen. IoT kann Senioren auch im Alltag unterstützen. Lebensmittel oder Medikamente liefern zu lassen kann so einfach gehen: Sie bitten einen Smart Speaker, notwendige Artikel zu kaufen und warten, bis ihre Einkäufe da sind.
Das Internet der Dinge verspricht Unabhängigkeit und Alterung in ihrem Zuhause für viele Ältere, und die Vorteile intelligenter Lösungen sind endlos. Es gibt jedoch einige berechtigte Bedenken gegenüber IoT-Technologien.
Das erste und kritischste Problem des Alters und der Technologie: Es kommt recht häufig vor, dass ältere Menschen durch verwirrende, schwer zu entziffernde Anwendungen, Geräte, Benutzeroberflächen und komplizierte, mehrstufige Installations- und Betriebsverfahren frustriert werden. Menschen ab 65 Jahren finden es auch aufgrund ihres Gesundheitszustands schwierig, sich an neue Technologien anzupassen ー viele von ihnen haben Seh- und Hörstörungen, die das Lesen und die Wahrnehmung von Audioinhalten erschweren. Auch das Farbsehen nimmt mit dem Alter ab: viele Senioren haben Schwierigkeiten, Farben zu unterscheiden, und benötigen einen höheren Farbkontrast.
Senioren verlassen sich oft auf nur wenige, leicht erreichbare Anwendungen. Es fällt ihnen generell schwerer, neue Funktionen und Geräte zu lernen. Aus diesem Grund sind einfaches UX und die Beteiligung der Senioren beim Testen das A und O eines guten seniorentauglichen Smart Devices.
Senioren und ihre Pfleger zeigen tendenziell ein gewisses Misstrauen gegenüber smarten Lösungen im Hinblick auf Sicherheit und Privatsphäre. Natürlich sind solche Produkte genauso anfällig für Hacking wie jedes andere IoT-Gerät. Die Kernfunktion von solchen Lösungen besteht darin, Aktivitäten, Gesundheit und Sicherheit von Älteren zu überwachen. Dann werden diese Daten zur weiteren Untersuchung über das Internet gesammelt, übertragen und in der Cloud gespeichert. Die Daten könnten von unbefugten Dritten eingesehen und genutzt werden, was die Risiken finanzieller und physischer Schäden erhöht. Um persönliche und medizinische Daten zu schützen, sollten Technologieunternehmen:
Laut einer Umfrage des Digitalverbans Bitkom geben 38 Prozent Nutzer jenseits der 65 an, mithilfe von Smart-Home-Anwendungen länger selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden leben zu wollen. Mehr als die Hälfte der Älteren sagt zudem: Das Internet hat mir geholfen, besser durch die Corona-Krise zu kommen. Die COVID-19-Pandemie und die Krise im Gesundheitswesen werden die Einführung digitaler Technologien, wie telemedizinische Lösungen, sicherlich beschleunigen. Intelligente Lösungen für Unabhängigkeit im Alter werden in Zukunft Standard sein.