Computer Vision – dabei denken die meisten Leute in Deutschland zunächst an Gesichtserkennung. Und es stimmt, Computer Vision wird zur Gesichtserkennung eingesetzt. In den USA hat die Firma Clearview zum Beispiel über drei Milliarden Bilder von Menschen aus dem Internet gesammelt - u. a. von Facebook und YouTube - und damit eine umfangreiche Datenbank zur Gesichtserkennung erstellt. Die Polizei konnte so schon mehrere Fälle lösen. Auch in Deutschland wird mit solchen Techniken experimentiert. In Berlin startete 2017 ein Pilotprojekt am Bahnhof Südkreuz. Kameras erkennen Menschen, die von der Polizei gesucht werden.
Computer Vision (computerbasiertes Sehen) oder Machine Vision (maschinelles Sehen) ist ein Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz (KI). Es trainiert Computer darin, Informationen aus Bild- und Videodaten zu erfassen und zu interpretieren – wie eben auch das menschliche Auge es kann.
Nun ist der Einsatz von Computer Vision zur Gesichtserkennung keineswegs unumstritten. Deswegen stehen viele Menschen hierzulande der Technologie skeptisch gegenüber. Auch Unternehmen denken nur zögerlich über den Einsatz von Computer Vision nach, denn wie lässt sie sich mit den strengen Datenschutzgesetzen vereinbaren? Dass es sich lohnt, sich genauer mit Computer Vision zu beschäftigen, zeigen wir in diesem Artikel. Die vielseitig einsetzbare Technologie bietet große Chancen und alle Branchen, ob Sport, Gesundheitswesen, Bausektor, Landwirtschaft, Automobilwirtschaft oder Einzelhandel, können von ihr profitieren. Wie? Das zeigt die untenstehende Grafik.
Eine umfangreiche Studie von Mordor Intelligence prognostiziert dem weltweiten Markt von Computer Vision AI von 2021 bis 2026 eine jährliche Wachstumsrate von 7,36 Prozent. Die stärkste Zunahme wird in Nordamerika und der Asien-Pazifik Region erwartet, aber auch in Europa steigt der Einsatz.
Was macht Computer Vision so erfolgreich? Ganz einfach gesagt kann CV das menschliche Auge immer präziser und zuverlässiger vertreten. Sie erkennt hochkomplexe Zusammenhänge innerhalb von Sekunden und nimmt Informationen auf, die das Auge schnell übersieht. Auch wenn Sie sich bis jetzt noch nicht viel mit Computer Vision auseinandergesetzt haben, können Sie sich sicherlich vorstellen, welche Vorteile so eine Technik haben kann. Sie kann Ärzte dabei unterstützen, hochpräzise Röntgenbilder zu analysieren oder Bauherren helfen, ihre Baustellen besser zu überwachen und so Kosten zu senken und Diebstahl oder Ausfall der Maschinen zu verhindern.
CV-Lösungen werden in drei Stufen der Autonomie eingeteilt, wobei die niedrigen Stufen das menschliche Auge unterstützen und die höheren es zunehmend ersetzen. Je nach Branche sehen die Lösungen auf den verschiedenen Stufen unterschiedlich aus. Im Bausektor kann man zum Beispiel folgende Lösungen unterscheiden:
Stufe 1: Unterstützte Intelligenz
CV unterstützt die Bauleiter dabei, ihre Aufgaben schneller und besser zu erledigen. Sie zählt zum Beispiel die Anzahl der Maschinen, die gerade genutzt werden und die, die nicht im Einsatz sind.
Stufe 2: Erweiterte/augmentierte Intelligenz
Hier unterstützt CV nicht nur, sondern übernimmt bestimmte Aufgaben. Wenn ein Bauleiter die Sicherheit seiner Arbeiter gewährleisten will, kann er sich für eine Computer-Vision-Lösung entscheiden, die gefährliche Situationen erkennt. Ein Beispiel sind Arbeiter, die sich schweren Baumaschinen nähern. Ohne CV-Lösung wäre es die Aufgabe des Bauleiters oder des jeweiligen Arbeiters, die Situation zu überwachen. Das wäre teurer und nicht so präzise und sicher wie eine Überwachung durch CV.
Stufe 3: Autonome Intelligenz
Bei dieser Stufe handelt CV ohne menschliches Eingreifen und führt komplexe Aufgaben selbstständig aus. Ein gutes Beispiel sind CV-Lösungen, die Stellen erkennen, wo Verbindungen miteinander verknüpft werden müssen. Daraus werden Muster erstellt, mit denen Roboter die Aufgabe selbstständig ausführen können.
In den nächsten Absätzen zeigen wir, wie Computer Vision im Bausektor, im Gesundheitswesen und in der industriellen Fertigung eingesetzt wird und welche Vorteile dies mit sich bringt.
Firmen im Bauwesen investieren viel Geld in ihre Maschinen. Um diese Kosten wieder hereinzuholen, müssen die Maschinen möglichst oft zum Einsatz kommen. Das hört sich zwar logisch an, aber in der Praxis läuft es oft anders.
Die meisten Unternehmen nutzen Whiteboards oder Spreadsheets, um den Einsatz ihrer Maschinen zu koordinieren. Per Hand wird eingetragen, wo die verschiedenen Maschinen gerade sind oder gebraucht werden. Dies macht eine Echtzeit-Überwachung der Maschinen und eine Planung des Einsatzes natürlich schwierig. Veränderungen können nicht immer sofort eingetragen werden und wenn ein Dispatcher einen Fehler macht, bekommen die Baustellen nicht die benötigten Maschinen.
Computer Vision macht den Einsatz von Maschinen effizienter. Sie erfasst die Ausrüstung auf einer Baustelle mit Hilfe von Objekterkennung in Echtzeit, so dass Unternehmen ihre Maschinen jederzeit überwachen, lokalisieren und umverteilen können. So wird die Nutzungsrate erhöht und die Overheadkosten werden gesenkt.
FRIEDRICH VORWERK SE & Co. KG ist eines der führenden deutschen Engineering-Unternehmen im Energiesektor. Wie viele Unternehmen in Deutschland hatte auch VORWERK mit mangelnder Digitalisierung zu kämpfen. Die Ausrüstung wurde manuell und in Papierform verwaltet, was natürlich zu aufwändigen und ineffektiven Arbeitsabläufen führte. Außerdem konnten die Maschinen nicht in Echtzeit überwacht werden.
VORWERK wollte dies unbedingt ändern und entschied sich für die CV-Lösung Bluugo’s Tracking Cloud™, die per Laptop und Kamera die Maschinen überwacht, verwaltet und wartet. Dank Computer Vision konnte das Unternehmen die Geräteauslastung um 80 Prozent verbessern und die aufwändige manuelle Arbeit um 99 Prozent verringern. Ausfallzeiten werden jetzt vermieden und die Kommunikation zwischen den verschiedenen Stakeholdern hat sich stark verbessert. Ohne CV wäre dies niemals möglich gewesen.
Über 200.000 Menschen erkranken pro Jahr in Deutschland an Hautkrebs: es ist damit die häufigste Krebserkrankung. Eine Früherkennung ist sehr wichtig und bedeutet in vielen Fällen den Unterschied zwischen Leben und Tod. Bis vor kurzem mussten Dermatologen und Radiologen verdächtige Muttermale selbst, also mit dem eigenen Auge oder anhand von Scans, beurteilen. Dies erfordert viel Konzentration, Präzision und Erfahrung.
Computer Vision unterstützt Ärzte bei der Diagnostik, durch Lösungen, die auf Mustererkennung und Objekterkennung basieren. Zuerst werden Scans von Hautstellen vergrößert und die Pixeldichte wird optimiert. Danach wird das verdächtige Gewebe mit Hilfe von bereits trainierten KI-Algorithmen markiert und analysiert. Die Grundlage formen Datensätze mit hunderttausenden Bildern von gut- und bösartigen Stellen.
Studien über den Einsatz von CV bei der Hautkrebserkennung zeigen, dass Computer Vision mit Deep Learning Hautkrebs besser diagnostiziert als Dermatologen.
SkinVision ist eine in den Niederlanden entwickelte Gesundheits-App für die Erkennung von Hautkrebs. Die App basiert auf Computer Vision und wird sowohl von Patienten als auch von Ärzten genutzt.
Diese Schritte werden bei der ständigen Optimierung der App durchlaufen:
Studien zeigen, dass SkinVision 95 Prozent der Hautkrebsfälle erkennt. Dies ist ein Riesenfortschritt für die Früherkennung von Hautkrebs und könnte die Sterberate aufgrund von Hautkrebs in Deutschland auf Dauer senken.
Über die Anwendung von Computer Vision in der Automobilindustrie wurde schon viel geschrieben. Besonders viel Aufmerksamkeit bekommt dabei die Frage: Werden Autos und andere Fahrzeuge bald selbst fahren können? Weniger bekannt ist der Einsatz von CV im ergonomischen Bereich.
Was meinen wir damit? Produktionsmitarbeiter in der Automobilfertigung arbeiten oft mehrere Stunden am Tag in einer ähnlichen oder ungesunden Haltung. Auf Dauer kann dies zu langfristigen Beschwerden oder sogar zu Arbeitsunfähigkeit führen. In der EU machen Muskel- und Skeletterkrankungen mehr als 50 Prozent der arbeitsbedingten Krankheiten aus und sind für mehr als 40 Prozent aller wirtschaftlichen Verluste verantwortlich.
Computer Vision AI kann diesen Erkrankungen vorbeugen, indem sie die Haltung und Bewegungen von Fachkräften in der Produktion analysiert. Belastende Arbeitsabläufe werden so schneller erkannt und es können rechtzeitig Maßnahmen ergriffen werden.
Rapid Upper Limb Assessment (RULA) ist ein Screening-Tool, das die Belastung des gesamten Körpers bewertet. Es analysiert anonymisierte Videoaufnahmen von Produktionskräften und kann die Haltungen und Bewegungen mit Hilfe von CV in verschiedene Werte umsetzen. Einzelne Körperteile, wie zum Beispiel der Nacken, der Rumpf und die Handgelenke werden einzeln bewertet. Und diese Einzelbewertungen fließen dann in eine Gesamtbewertung zusammen: “Alles in Ordnung” oder “Veränderungen sind notwendig”.
Verschiedene Studien und Experimente zeigen, dass die RULA-Ergebnisse mit den Bewertungen von Spezialisten übereinstimmen. Außerdem kann RULA mehrere Menschen gleichzeitig analysieren, auch bei ungünstigen Bedingungen wie zum Beispiel schlechten Lichtverhältnissen.
Vielleicht erinnern Sie sich an den Anfang dieses Artikels? Wir berichteten von Computer-Vision-Lösungen, die Gesichtserkennung ermöglichen. Mittlerweile wird Computer Vision auch benutzt, um genau das Gegenteil zu erreichen: die Anonymisierung von Daten, darunter Gesichtern. Manuell oder mit Hilfe menschlicher Intelligenz würde dieser Prozess ewig dauern und das Ergebnis wäre sehr ungenau. Die Computer Vision schöpft in diesem Bereich ganz neue Möglichkeiten aus: mit ihr ist die Datenanonymisierung sehr schnell und präzise.
Für Deutschland und andere Länder der EU sind dies sehr spannende Entwicklungen. Sie bedeuten nämlich, dass Unternehmen die Vorteile von CV in Zukunft nutzen können, ohne Angst zu haben, gegen die strengen Datenschutzanforderungen zu verstoßen.
Ein CV-Tool, das die Anonymisierung von Gesichtern ermöglicht, ist CLEANIR. Im nächsten Absatz schauen wir uns dieses Tool näher an.
Das Tool CLEANIR ersetzt echte Gesichter durch künstlich generierte Gesichter mit innovativen Computer Vision-Techniken. Allgemeine Merkmale des Gesichts, wie die Emotionen und Hautfarbe, bleiben dabei erhalten. So entstehen anonymisierte Aufnahmen, die trotzdem relativ natürlich wirken, jedenfalls natürlicher als verschwommene Gesichter oder Gesichter mit einem Balken vor den Augen. Diese neue Art der Gesichtsanonymisierung ist außerdem sicherer als herkömmliche Methoden, bei denen der Balken gerne mal auf der Nase statt vor den Augen landete…
Bis jetzt werden CV-Tools wie CLEANIR hauptsächlich im Gesundheitswesen ausgetestet. Mit Computer-Vision-Lösungen, die Gesichter anonymisieren, kann zum Beispiel problemlos festgestellt werden, ob Ärzte und Besucher die Hygienestandards einhalten (Tragen sie eine Maske? Waschen sie sich die Hände, bevor sie die Patienten besuchen?). Auch andere Bereiche werden sehr wahrscheinlich immer öfter auf solche Lösungen zugreifen und damit viel Zeit und Geld sparen und Problemen vorbeugen.
Das Gesundheitswesen ist eine der ersten Branchen, die das gigantische Potenzial von CV-Methoden erkannt hat. Auf CV-basierende Tools unterstützen Ärzte mittlerweile bei der Diagnostik sowie bei der Behandlung. Aber nicht nur im Healthcare-Bereich spielt Computer Vision eine immer wichtigere Rolle: auch das Bauwesen, der Sportsektor und die Fertigungsindustrie können dank CV die eigenen Leistungen verbessern. Egal in welcher Branche Sie beschäftigt sind, lassen Sie sich nicht von den ersten negativen Assoziationen mit CV abschrecken, sondern entdecken Sie das enorme Potential für Ihr Unternehmen.