Welche Smart-Charging-Entwicklungen treiben die E-Mobilität voran?

Wer sich heutzutage gegen ein Elektroauto entscheidet, muss sich zunehmend rechtfertigen. Schließlich spielt eine nachhaltigere Mobilität eine zentrale Rolle bei der Umsetzung der Klimaziele. Die Gründe, sich gegen ein Elektroauto zu entscheiden, haben für die meisten Menschen jedoch nicht mit einem mangelnden Nachhaltigkeits-Mindset zu tun, sondern mit der Ladeinfrastruktur in Deutschland. 

Eine Umfrage von Statista zeigt zum Beispiel, dass die meisten Menschen in Deutschland sich gegen ein E-Auto entscheiden, weil es zu teuer ist (33,8 %), eine zu geringe Reichweite hat (22,6 %) und zu wenig öffentliche Ladesäulen verfügbar sind (21,6 %). Auch die zu lange Ladedauer der Batterie wurde erwähnt (5,8 %).

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Aktuelle Daten des Ladesäulenregisters der Bundesnetzagentur zeigen, dass die Ladeinfrastruktur in Deutschland tatsächlich noch viele Versorgungslücken aufweist. Die insgesamt 85.073 öffentlichen Ladepunkte (Stand: 1. März 2023) sind ungleichmäßig über die Bundesländer verteilt. Die meisten Ladesäulen gibt es in Bayern und Baden-Württemberg sowie im Ruhrgebiet, die wenigsten in den neuen Bundesländern sowie in Rheinland-Pfalz. Zudem sind Städte und deren Umland in der Regel besser versorgt als ländliche Regionen. 

Ein weiteres Problem ist, dass die herkömmlichen Ladesäulen nicht energieeffizient sind. Wie bereits in diesem Artikel über den aktuellen Stand der deutschen Energiebranche beschrieben, gibt es momentan große Schwankungen in der Energieversorgung. Überschüsse und Engpässe wechseln sich dynamisch ab und lassen sich noch nicht optimal vorhersagen. Herkömmliche Ladesäulen können nicht gut auf diese Schwankungen reagieren. Außerdem belastet die wachsende Zahl der E-Fahrzeuge das Stromnetz zusätzlich.  

Smartes Laden (auch: intelligentes Laden oder Smart Charging) kann die verschiedenen Ladeprobleme lösen und die E-Mobilität in Deutschland voranbringen. Wie das genau funktionieren kann, erklären wir in diesem Artikel.

Was ist Smart Charging und welche Vorteile hat es?

In einem früheren Artikel haben wir bereits ausführlich beschrieben, was Smart Charging ist und wie es die Elektromobilität vorantreiben kann. Kurz gesagt: Smart Charging kann Elektroautos in das moderne Stromnetz, das aus IoT-basierten Smart Grids besteht, integrieren. Diese Smart Grids verbinden die Stromerzeuger, Verbraucher, das Netz und die neuen Speichersysteme, zu denen auch E-Fahrzeuge zählen können, miteinander. 

Smart-grid

In einem Smart Grid werden zahlreiche Daten in Echtzeit ausgetauscht und analysiert, so dass bekannt ist:

  • Wie viele Fahrzeuge an einem bestimmten Ort geladen werden müssen
  • Wie hoch die Belastung des Stromnetzes zu verschiedenen Zeiten ist
  • Wie viel Energie an ein angeschlossenes Fahrzeug abgegeben werden soll

Im Smart Grid können E-Autos also intelligent geladen werden, was große Vorteile für die verschiedenen Gruppen bietet:

  • Unternehmen können Stromnachfrage-Spitzen vermeiden und ihren E-Fuhrpark genau dann laden, wenn die Nachfrage gering ist. So sparen sie Stromkosten.
  • Verbraucher, die ihren eigenen grünen Strom erzeugen, können ihr E-Auto und ihre stromintensiven Haushaltsgeräte zu verschiedenen Zeiten laden. Dies beugt Stromausfällen vor und verringert die Belastung des Stromnetzes. 
  • Smart Charging funktioniert nur mit guten Lade-Apps: Für OEMs bieten diese Apps ein neues Geschäftsmodell. Funktionen wie ein Premium-Zugang zu öffentlichen Ladestationen oder niedrigere Ladekosten werden die Entscheidung für ein E-Auto-Modell immer stärker mitbestimmen.

In Deutschland gingen 2021 rund 5.800 GWh aus erneuerbaren Energien verloren, weil die Aufnahmefähigkeit des Stromnetzes zu begrenzt war und Anlagen abgeschaltet werden mussten. Ausgereifte Smart-Charging-Technologien hätten diesen Überschuss auf E-Fahrzeuge umleiten können: Rund 2,6 Millionen E-Fahrzeuge hätten ein ganzes Jahr lang damit fahren können… 

Wie smart lädt Deutschland?

E-Autos können sowohl im öffentlichen Raum als auch privat (zu Hause oder beim Arbeitgeber) geladen werden. Problematisch sind vor allem die Ladepunkte im öffentlichen Bereich, die weit von einer einheitlichen Smart-Charging-Strategie entfernt sind. 

In Deutschland werden die öffentlichen Ladepunkte von über 2.000 verschiedenen Anbietern betrieben, darunter Stromversorger und Stadtwerke, aber auch Unternehmen wie Ikea, Bosch oder BP. Manche dieser Betreiber ermöglichen ihren Kunden ausschließlich den Zugang zu den eigenen (regionalen) Ladesäulen. Außerdem gibt es kein einheitliches Bezahlsystem: Bei vielen Ladepunkten kann immer noch nicht kontaktlos mit einer Kreditkarte bezahlt werden. 

Ein weiteres Problem ist, dass die meisten Ladepunkte in Deutschland noch nicht intelligent sind. Es werden zum Beispiel keine Daten mit dem Energieversorger oder Zahlungsdienstleister ausgetauscht. Das sorgt für komplexe und suboptimale Vorgänge. 

Im Smart-Home-Bereich sieht es etwas besser aus: Es gibt zahlreiche Anbieter von sogenannten Wallboxen für zu Hause und das Angebot nimmt seit Jahren zu. Auch die Nachfrage ist groß: Laut Energieagentur DENA haben rund 900.000 Menschen in Deutschland eine private Wallbox. Bei wie vielen davon es sich um smarte oder intelligente Wallboxen handelt, ist allerdings nicht bekannt.

Diese Entwicklungen bringen das Smart Charging voran

Einfache Ladepunkte bremsen die Elektromobilität aus und gefährden somit das Erreichen der Klimaziele. Untenstehende Entwicklungen sind notwendig, um das Rollout der Smart-Charging-Technologien zu beschleunigen und so die E-Mobilität zu fördern.

Plug & Charge macht öffentliche Ladesäulen intelligent

Die öffentlichen Ladesäulen müssen miteinander vernetzt und im Smart Grid aufgenommen werden. Um dies zu erreichen, müssen die Ladepunkte online kommunizieren und Software-Updates erhalten. Dafür brauchen sie Zugriff auf das Internet.

In Deutschland war dies bis jetzt noch nicht der Fall, aber die sogenannte Plug & Charge Entwicklung macht Hoffnung. Bei Plug & Charge tauscht die Ladestation zahlreiche Daten mit dem E-Auto und den anderen Akteuren im Smart Grid aus. Das sieht zum Beispiel so aus:

  • Daten über den Stromverbrauch werden an den Energieversorger übertragen.
  • Daten zur Abrechnung werden an den Zahlungsdienstleister weitergeleitet. 
  • Statusinformationen wie ‘Säule belegt’ oder ‘Säule defekt’ fließen an den Plattformbetreiber.

Um diese komplexe Kommunikation sicher zu bewältigen, hat sich die Branche auf Standards geeinigt. Eine zentrale Rolle dabei spielt die Norm ISO 15118. Es dauert aber sehr wahrscheinlich noch mehrere Jahre, bis Deutschland über eine 100 Prozent intelligente Ladeinfrastruktur verfügt.

Intelligente Wallbox für zu Hause

Im Smart-Home-Bereich unterscheiden die intelligenten Wallboxen der verschiedenen Anbieter (direkt vom OEM oder von einem externen Anbieter) sich stark in Preis, Ausstattung und Funktionalität. Auch hier fehlt, wie bei den öffentlichen Ladesäulen, die Einheitlichkeit. Die genauen Unterschiede werden im Wallbox-Test 2023 präsentiert.

Die folgenden Innovationen werden sich erwartungsgemäß immer mehr durchsetzen:

  • Für Haushalte mit mehreren E-Autos: Mehrere Fahrzeuge können parallel mit nur einer smarten Wallbox geladen werden.
  • Power Boost: Diese smarte Ladefunktion verhindert, dass die maximale Energiekapazität des Hauses überschritten wird und hohe Stromkosten anfallen. Power Boost verteilt die Energiebelastung zwischen der Wallbox und den anderen Geräten im Haus. Wenn die maximale Kapazität (bald) erreicht wird, reduziert das System automatisch den Stromverbrauch des Autos, bis wieder genügend Strom vorhanden ist.
  • Optimale Vernetzung: Ob Smartphone-App oder Web-Interface: eine smarte Wallbox muss immer optimal vernetzt sein, d. h., Zugriff muss immer möglich sein.
  • Over-the-air (OTA) Software-Updates: Die smarte Wallbox wird mit neuen Funktionen ausgestattet, sobald diese verfügbar sind.
  • Bidirektionales Laden: Eine sogenannte bidirektionale Wallbox wird an die eigene Photovoltaik-Anlage gekoppelt und ermöglicht, dass der selbstproduzierte Grünstrom in zwei Richtungen strömt: Wenn gerade viel Grünstrom erzeugt wird, wird das E-Auto automatisch aufgeladen. Wenn kein Strom erzeugt aber benötigt wird, zum Beispiel in der Nacht, dann wird der Grünstrom aus dem E-Auto zurück in das Hausstromnetz gespeist. 

Bessere Lade-Apps mit gutem UX/UI Design

Es gibt mittlerweile sehr viele E-Auto-Lade-Apps von sowohl den OEMs als auch freien Anbietern, die den Ladevorgang vereinfachen sollen. Die wichtigsten Funktionen einer solchen Lade-App:

  • Lade-Apps zeigen die nächste E-Ladesäule an und ermöglichen es, diese zu reservieren. 
  • Nutzer können direkt mit der App laden und bezahlen und brauchen kein Bargeld oder eine Kreditkarte. Außerdem werden die Tarife transparent angezeigt.
  • Die App unterscheidet zwischen verschiedenen Ladesäulentypen, Netztypen und Ladeleistungen, so dass schnell der benötigte Ladepunkt gefunden werden kann. Die App zeigt die Verfügbarkeit der Ladestation sowie verfügbarer Stecker an.

An der Frage, wie gut die verschiedenen Lade-Apps abschneiden, scheiden sich die Geister. Ein Test unter verschiedenen Lade-Apps für E-Autos durch Stiftung Warentest zeigt allerdings, dass es bei den meisten Apps noch diverse Baustellen gibt. Problematisch ist vor allem die Benutzerfreundlichkeit: Das Layout ist unübersichtlich und nach manchen Funktionen muss relativ lange gesucht werden. Oder, in anderen Worten: Es mangelt an gutem UI/UX Design. In einem früheren Artikel haben wir bereits erklärt, warum innovatives UI/UX Design für die Transformation des Automobilsektors notwendig ist.

Smarte Routenplaner mit integriertem Ladenetzwerk

Auch die Routenplaner der E-Autos spielen eine wichtige Rolle beim Smart-Charging-Rollout. Mittlerweile verfügen die meisten E-Autos über ein Navigationssystem mit einem integrierten Ladenetzwerk, das das Laden unterwegs vereinfacht. Diese Routenplaner haben das Potenzial, Ladestopps bei langen Fahrten zu berücksichtigen, die Restkapazitäten bei den jeweiligen Ladepunkten zu prognostizieren oder umzuplanen, wenn der Fahrer schneller fährt als erwartet. 

In der Praxis funktioniert das allerdings noch nicht so gut wie in der Theorie:

  • Die Ladezeit bis zur Weiterfahrt wird nicht eindeutig angezeigt 
  • Wichtige Lade-Informationen sind in Untermenüs versteckt
  • Die angezeigten Ladesäulen bedeuten einen unnötigen Umweg
  • Die Routen oder Stopps werden sehr langsam berechnet
  • Nur die eigenen Ladepunkte werden angezeigt (Tesla)
  • Bugs wie zum Beispiel: Freie Ladesäulen werden als belegt angegeben

Die OEMs sind sich der Probleme bewusst und arbeiten an neuen, besseren Versionen. So zeigt das Navigationssystem von Tesla zunehmend Ladestationen von anderen, auch kleineren, Betreibern an.

Zudem bieten verschiedene freie Anbieter erfolgreich Navigations-Apps an. Neben den erwähnten Standardfunktionen können Nutzer über die beliebte Open Charge Map die eigene Wallbox hinzuzufügen und Informationen sowie Bewertungen zu den verschiedenen öffentlichen Ladestandorten aufnehmen. 

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Bidirektionales Laden als ultimatives Ziel?

Bidirektionales Laden wird von immer mehr Experten als Schlüsseltechnologie für die Energiewende genannt. Bei konventionellen Ladevorgängen fließt der Strom in eine Richtung, nämlich vom Ladegerät zum E-Auto. Bei direktionalem Laden (auch: BiDi-Laden) hingegen fließt der Strom auch in die andere Richtung und wird das E-Auto als eine Art von Speicher für grünen Strom eingesetzt. Netzengpässe können so aufgelöst werden und (private) Betreiber von Photovoltaik-Anlagen können ihren grünen Eigenverbrauch steigern, ohne dass sie in einen Batteriespeicher investieren müssen.

Bidirektionales Laden ist ein V2G-Konzept (Vehicle to Grid), das langsam Fahrt aufnimmt. Die spannendsten Entwicklungen sind:

  • Der elektrische R5 von Renault soll mit einem eingebauten, bidirektionalen Ladegerät gebaut werden. Die V2L-Funktion (Vehicle to Load) ermöglicht es, externe Geräte zu versorgen. Über die passende Wallbox kann zudem der abgegebene Strom vermarktet werden. Der R5 ist wahrscheinlich ab 2025 verfügbar.
  • Auch die Tesla-Modelle sollen in den kommenden Jahren bidirektionales Laden unterstützen. Ob es bei den bestehenden Modellen 3, S, X und Y als Update zur Verfügung stehen wird, ist noch unbekannt.
  • Die spanische Firma Wallbox Chargers und der israelische Hersteller Solaredge entwickeln bidirektionale Wallboxen, die auf jeden Fall mit dem Cupra Born 77kwh E-Auto kompatibel sind. Die Wallbox soll Ende 2025 verfügbar sein.

Wie alle Ladevorgänge hat aber auch das bidirektionale Laden mit Herausforderungen zu kämpfen. Eine wichtige Herausforderung ist die Batterie, die besonders beim bidirektionalen Laden schnell an Leistungsfähigkeit verliert. Smart-Charging-Technologien könnten diesen Prozess bremsen, zum Beispiel indem sie die sogenannte Zyklentiefe berücksichtigen: Das Elektroauto wird automatisch aufgeladen, wenn der Ladezustand unter 20 Prozent fällt. Dabei wird es nicht vollständig geladen. Denn je geringer der Unterschied zwischen dem Zustand vor und nach dem Laden ist, desto weniger altert die Batterie. Außerdem können Smart-Charging-Technologien dafür sorgen, dass das Auto genau vor dem Losfahren geladen wird. Auch dies schont den Akku.

Zusammengefasst

Komplizierte oder suboptimale Ladevorgänge sind für viele Menschen in Deutschland ein wichtiger Grund, sich gegen ein E-Auto zu entscheiden. Smart-Charging-Technologien sind erforderlich, um das Laden so einfach wie möglich zu gestalten und den E-Mobility-Trend weiter auszubauen. Vor allem Plug & Charge-Entwicklungen, intelligente Wallboxen mit innovativen Ladefunktionen, benutzerfreundliche Lade-Apps und Navigationssysteme mit integriertem Ladenetzwerk haben in diesem Zusammenhang ein großes Potenzial. Je besser diese Technologien abschneiden, desto mehr Menschen werden sich erwartungsgemäß in Zukunft für ein E-Auto entscheiden.

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