Wearables im Gesundheitswesen gibt es schon lange. Mit der Erfindung digitaler Hörgeräte in den späten 1980er Jahren begann die Digitalisierung der Branche und es entstand eine ganz neue Kategorie medizinischer Geräte. Aktuell entwickeln sich immer neue Formen von Wearables, die immer diversere Aufgaben erfüllen können.
Dank intelligenter Sensoren, künstlicher Intelligenz und ML-Technologien werden tragbare Geräte heute für verschiedene Zwecke eingesetzt:
Der Einsatz von intelligenten Wearables im Gesundheitswesen nimmt zu. Der globale Markt für KI-gestützte Wearables wird bis 2025 voraussichtlich 180 Milliarden US-Dollar erreichen.
KI-gesteuerte Wearables sind mobil einsetzbar, funktionieren selbstständig und sind benutzerfreundlich. Kurz: Sie stellen effiziente Tools für die Gesundheitsdienstleister dar. In Zeiten von COVID-19, in denen Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtungen stark belastet sind, gewinnen KI-Wearables noch stärker an Bedeutung .
* Klingt zu gut, um wahr zu sein? Ein kurzer Realitätscheck bevor wir fortfahren.
Es ist wichtig, die sogenannte generelle künstliche Intelligenz (Artificial General Intelligence, AGI) von einzelnen KI-Teilkomponenten zu trennen.
AGI, auch bekannt als starke KI, ist die Fähigkeit einer Maschine, intellektuelle Aufgaben erfolgreich zu erledigen und datenbasierte Entscheidungen wie ein Mensch zu treffen. Diese Art von Intelligenz wird beispielsweise in selbstfahrenden Autos, großen Robotersystemen und industriellen Predictive-Maintenance-Lösungen eingesetzt.
Bei Wearables im Gesundheitswesen und IoT-Lösungen geht es um schwache KI. Mit dieser können Geräte lediglich vorab definierte Aufgaben bewältigen und verfügen über keine menschenähnlichen kognitiven Fähigkeiten. Einige KI-Wearables sind mit Funktionen zur Spracherkennung, zur visuellen Wahrnehmung oder zur Entscheidungsfindung ausgerüstet. Allerdings sind diese Funktionen in den Wearables noch nicht ausreichend entwickelt.
Erwarten Sie also nicht, dass KI-gesteuerte Wearables vollwertige Diagnosen stellen oder ein Rezept aufgrund Ihres Gesundheitszustands ausstellen. In naher Zukunft ist es unwahrscheinlich, dass diese Geräte Ärzte ersetzen werden.
Doch schon jetzt kann die Kombination von Wearable-Technologien und KI Ärzte bei ihrer täglichen Routinearbeit unterstützen und die Lebensqualität der Patienten erhöhen.
Künstliche Intelligenz ist in der Kardiologie nicht gerade neu. Ein Beispiel ist die Berliner Charité. Die Klinik setzt auf KI- und ML-Technologien, um Daten und Bilder zu analysieren, bekannte Muster zu erkennen und zu interpretieren. Mit einer solchen Unterstützung lässt sich das Risiko von Herzkrankheiten besser prognostizieren. Außerdem können Kardiologen bereits betroffene Patienten effizienter behandeln.
ML-Algorithmen in tragbaren Messgeräten und Smartphone-Apps ermöglichen es den Medizinern, den Zustand von kardiologischen Patienten aus der Ferne zu beobachten. Das Projekt Telemed5000 der Charité hat das Ziel, ein intelligentes System zur telemedizinischen Mitbetreuung zu erstellen. KI soll zum Einsatz kommen, um das medizinische Personal zu unterstützen. Sie soll die Vitaldaten der Patienten analysieren und „vorverarbeiten“. Neben herkömmlichen Messgeräten, wie Waagen oder Blutdruckmessgeräten, sollen auch Smartphones und Wearables Daten aufzeichnen.
In Kalifornien ist ein ähnliches Projekt bereits umgesetzt: Das Startup Eko, das durch seine digitalen Stethoskope bekannt wurde, stellte eine KI-gestützte Plattform vor. Sie besteht aus fortschrittlichen Herzmonitoren, Software für Patienten und Ärzte und KI-gestützter Berichterstattung.
Die Plattform hilft dabei, strukturelle Herzerkrankungen und Vorhofflimmern frühzeitig zu erkennen und teilt verwertbare Daten mit dem behandelnden Arzt des Patienten.
Die KI-Algorithmen analysieren den Patientenzustand anhand von 1-Kanal-EKGs und Herzschlagdaten. Für die Geräuschanalyse verwenden die vortrainierten Algorithmen ein Deep Neural Network (DNN)-Modell. Es kann den Herzschlag isolieren und die durch den turbulenten Blutfluss verursachten Schwingungen des Gewebes erfassen und so ein Herzgeräusch identifizieren, das für das menschliche Ohr schwer zu erkennen ist.
Momentan will Eko seine Plattform auf weitere Gesundheitsdienstleister ausweiten und ein Programm zur Selbstüberwachung für kardiopulmonale Patienten auf den Markt bringen.
KI ist ein Tool, das dem Rätselraten in jedem noch so schwer zu berechnenden Prozess ein Ende setzt. Auch, wenn es darum geht, die fruchtbarsten Tage des weiblichen Zyklus zu berechnen.
Ava ist ein Digital Health Unternehmen mit Büros in Zürich, San Francisco, Makati und Belgrad. Es entwickelte eine Lösung, die mehrere Gesundheitsparameter analysiert und somit erkennt, wann sich das fruchtbare Fenster öffnet bzw. schließt.
Die Lösung selbst besteht aus einem smarten Sensorarmband, einer mobilen App und einem robusten Backend mit KI- und ML-Algorithmen. Gemeinsam sammeln sie Daten über hormonelle Veränderungen, den Ovulationszyklus, die Körpertemperatur und andere physiologische Parameter der Frau. Die Daten werden in einer großen Datenbank akkumuliert, verarbeitet und mithilfe von KI analysiert, die dann einen Bericht mit Hinweisen und Empfehlungen erstellt.
Diese Technologie wurde bereits in mehreren klinischen Studien erfolgreich getestet und verifiziert.
Darüber hinaus können die KI-Funktionen des Armbands von Ava zur Analyse des Menstruationszyklus und zur Schwangerschaftskontrolle genutzt werden.
Vor ein paar Jahren präsentierte Sumu, ein Startup-Gesundheitsunternehmen aus den USA, sein Sumu Band – ein revolutionäres Wearable für das Gesundheitswesen. Es wurde entwickelt, um blinden oder sehbehinderten Menschen zu helfen, sich gefahrlos in ihrem Umfeld zu bewegen und Zusammenstöße mit Objekten zu vermeiden.
Mithilfe von Sonar- und Echoortung erkennt das Sumu Band Objekte in einer Entfernung von bis zu 5,5 Metern. Anschließend informiert ein haptisches Vibrationsfeedback den Nutzer darüber, wie nah oder weit entfernt sich das Hindernis befindet.
Das Gerät wurde auf dem US-Markt recht populär. Und obwohl es keine KI-Komponenten enthält, legte es den Grundstein für eine ganz neue Kategorie von Gesundheits-Wearables – Wearables für Sehbehinderte.
Ein anderes smartes Gerät für sehbehinderte Menschen erstellte Orcam, ein israelisches Unternehmen, das seit 2016 auch in Deutschland präsent ist. Das Gerät spricht 20 Sprachen und wird weltweit verwendet. Es geht um OrCam MyEye – ein sprachgesteuertes Wearable, das visuelle Informationen über das Hören verfügbar macht. Das Gerät wird am Brillengestell befestigt: Vorne hat es eine hochauflösende Kamera und am anderen Ende einen Minilautsprecher. Die KI-Algorithmen erkennen Texte, Gesichter, Produkte sowie andere visuelle Informationen und übertragen sie im Audioformat über den Lautsprecher direkt am Ohr oder über ein gekoppeltes Bluetooth-Gerät. OrCam MyEye ist durch Sprache, durch Antippen oder durch Gesten steuerbar. Außerdem ist die Lösung mobiler als smarte Brillen. Apropos smarte Brillen: Wie geht’s denn Google Glass?
Ja, Sie haben richtig gelesen. Google Glass ist immer noch am Leben. Die zweite Edition verfügt über eine vollständig aktualisierte Hardware und wurde vor allem für Unternehmen neu konzipiert. Das Gerät ist als sprachgesteuerte Unterstützung für Mitarbeiter gedacht.
Mit dem KI-Software-Toolkit von Envision kann Google Glass 2 außerdem zu einem Hilfsmittel für blinde und sehbehinderte Menschen werden. Die Lösung verwendet Kameras, um Objekte zu erfassen. Und KI-Softwarekomponenten, um diese Objekte zu erkennen und sie dem Nutzer zu beschreiben.
Die Software von Envision basiert auf der Optical Character Recognition (OCR)-Technologie. Diese Technologie ist zurzeit die schnellste und genaueste.
Mit der App kann die Brille Text von Plakaten, Speisekarten, Lebensmittelverpackungen, Bildschirmen, QR- und Barcodes und sogar einige handgeschriebene Texte lesen. Das Gerät kann auch Gesichter erkennen, Farben und Objektformen identifizieren und die Umgebung beschreiben. Die App unterstützt 60 Sprachen und verfügt über eine intuitive Benutzeroberfläche mit Spracherkennung.
Starkey Hearing Technologies, ein Healthcare-Unternehmen mit Sitz in Minnesota, stellte ein multifunktionales Hörgerät Livio Edge AI vor. Es kann Gesten erkennen und verfügt über eine Funktion zur Sprachverarbeitung (NLP).
Wie das Unternehmen berichtet, leiden gehörlose und schwerhörige Menschen in der Regel unter dem Verlust des Raum- und Gleichgewichtssinns. Dadurch sind sie potenziell sturzgefährdet und können sich schwer verletzen.
Um diese geschwächten Sinne auszugleichen, nutzt das Hörgerät 3D-Sensoren zur Bewegungs- und Gestenerkennung, und erfasst damit die Umgebung. Anschließend analysiert die KI-gesteuerte App diese Daten und passt sofort den Ton an.
KI kann auch dafür sorgen, dass Hintergrundgeräusche in lauten Umgebungen herausgefiltert und von der Sprache getrennt werden. Genau damit beschäftigt sich das in Berlin gegründete Startup Audatic. Deep Learning ist die Kerntechnologie der Lösung. Aufgrund eines zu großen Energiebedarfs dieser Technologie sind Berechnungen auf dem Hörgerät selbst nicht möglich. Daher wird das Signal in einer Smartphone-App gesäubert und dann ans Hörgerät übertragen.
Solche Lösungen ermöglichen Menschen mit einer Hörstörung die maximal volle Wahrnehmung der Umwelt.
„Corona muss ein Weckruf für mehr Digitalisierung sein“, sagt Dr. Axel Pols, Geschäftsführer von Bitkom Research. Und so wirkt die Pandemie in der Tat: Viele revolutionäre telemedizinische Lösungen kommen jetzt auf den Markt.
Current Health ist eine dieser Lösungen. Es handelt sich um eine Unternehmensplattform, die den Gesundheitszustand von Patienten zu Hause erfasst. Die Basis der Plattform sind KI-gesteuerte Algorithmen, die die gesammelten Daten analysieren und eine Verschlechterung des Gesundheitszustands schnell erkennen. Das System benachrichtigt Ärzte über schwerwiegende Fälle und ermöglicht es ihnen, mit integrierten telemedizinischen Tools Patienten anzusprechen und der Situation entsprechend zu handeln.
Die NHS-Krankenhäuser in Dartford und Gravesham kooperierten mit Current Health, um ein Pilotprogramm zu starten, das für Monitoring von Patienten mit chronischen Krankheiten nach der Entlassung konzipiert wurde. Die Teilnehmenden erhielten WLAN-Armbänder zur Aufzeichnung ihrer Vitaldaten. Außerdem bekamen sie Tablets, mit Chatbots, die die Patienten an die Medikamenteneinnahme erinnern sowie ihnen Warnungen und Updates zu ihrem Gesundheitszustand senden. Bei Bedarf kann man über das Tablet auch mit Ärzten chatten.
Die Ergebnisse des Pilotprojektes waren beeindruckend. Die Zahl der unnötigen Hausbesuche verringerte sich um 22 %, sodass die Pflegekräfte sich verstärkt den wirklich gefährdeten Patienten widmen konnten. Außerdem erwies sich das System in Zeiten der Pandemie als effizientes Mittel, um die Ausbreitung der Infektion unter Risikopatienten zu verringern.
Die Kombination von Wearables und KI-Komponenten verspricht positive und langfristige Effekte für die Gesundheitsbranche. Der technologische Fortschritt bei Software- und Hardwareentwicklung sowie die durch die Corona-Pandemie erhöhte Nachfrage treiben den Markt tragbarer medizinischer Geräte voran.
Dies ist jedoch erst der Anfang, hier ist noch viel Luft nach oben. KI-gesteuerte Wearables haben ein enormes Potenzial für andere Einsatzbereiche und werden die Branche weiter revolutionieren.