In fast allen Bereichen in Deutschland verfügen wir über eine große Menge an Daten – und damit über das Potenzial, wertvolles neues Wissen zu generieren. Dieses Potenzial können wir aber nicht optimal ausschöpfen: Die umfangreichen Datenmengen stellen uns nämlich vor große Herausforderungen, wie eine zu lange Verarbeitungszeit und ein Mangel an Detailgenauigkeit. Diese und andere Probleme können nicht mit herkömmlichen Computern gelöst werden, sondern brauchen Quantencomputing.
Einfach erklärt, lösen Quantencomputer komplexe Probleme in Stunden statt Monaten oder Jahren. Sie ermöglichen zum Beispiel bessere Medikamente oder Therapieformen, smartere Produktionsprozesse oder ein besseres Verkehrsmanagement in Städten. Auch was den Klimawandel angeht, kann Quantencomputing eine Schlüsselrolle spielen: Die Technologie kann dabei helfen, bessere Speicherbatterien oder Solarzellen zu entwickeln, oder die Nachfrage und das Angebot von erneuerbaren Energien besser vorherzusagen. Außerdem verbrauchen Quantencomputer viel weniger Strom als normale Computer und unterstützen so die wachsende Green IT-Bewegung.
Kein Wunder, dass immer mehr Branchen die Vorteile eines Quantencomputers erkennen und Quantencomputing bereits in den meisten Sektoren Fuß gefasst hat. Auch die Bundesregierung sieht das Potenzial: 2022 förderte sie die Forschung von Quantentechnologien mit 650 Millionen Euro.
Ex-Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sagte damals:
Quantencomputing hat das Potenzial, Schlüsselbranchen unserer Wirtschaft zu revolutionieren – zum Beispiel wenn es um die Steuerung des Energiebedarfs und des Verkehrs oder das Testen neuer Wirkstoffe geht. Es ist unser Ziel, dass Deutschland bei der Entwicklung und der praktischen Anwendung von Quantencomputing weltweit mit an der Spitze steht.
In diesem Artikel beantworten wir die Fragen: Was kann ein Quantencomputer eigentlich und was sind momentan die spannendsten Quantencomputing-Beispiele?
Normale Computer arbeiten mit sogenannten Bits, die entweder eine 1 oder eine 0 darstellen. Ein Quantencomputer hingegen arbeitet mit sogenannten Qubits, die viel mehr Möglichkeiten haben: Zwischen 1 und 0 können sie unendlich viele Zustände annehmen. Einfach gesagt: Ein traditioneller Computer ist wie eine Lampe, die man an- oder ausmachen kann. Ein Quantencomputer ist eher wie ein Dimmer mit einer Vielzahl von Einstellungen zwischen an und aus.
Diese dynamische, fast chamäleonartige Art des Qubits erklärt die große Leistungsstärke des Quantencomputings: Viele Faktoren können gleichzeitig und unter hochkomplexen Umständen getestet werden. Kombiniert mit Machine Learning-, KI- oder IoT-Lösungen haben Quantentechnologien das Potenzial einer wahren Superkraft.
Um eine Quantencomputing-Anwendung entwickeln zu können, werden drei Elemente benötigt: Hardware, Software und die Cloud.
1. Hardware. 2021 wurde in Deutschland der erste Quantencomputer in Betrieb genommen: der Quantum System One. Er steht bei der Fraunhofer-Gesellschaft und wird von IBM betrieben. 2023 werden weitere Quantencomputer in sechs europäischen Ländern aufgestellt. Von einer Massenproduktion sind wir aber noch weit entfernt.
2. Die Cloud. Da Quantencomputer noch nicht in großen Mengen produziert werden, können Quantencomputing-Dienste auch über die Cloud angeboten werden. Dies ist aber nicht einfach, denn die aktuellen Cloud-Plattformen können die gigantischen Datenmengen nur schwer verarbeiten. Deswegen arbeiten die großen Cloud-Anbieter immer öfter mit den Hardware-Herstellern zusammen. Bevor die Fraunhofer-Gesellschaft ihren eigenen Quantencomputer bekam, konnte sie zum Beispiel über die Cloud verschiedene IBM-Quantencomputer in den USA bedienen.
3. Software. Damit der Zugriff auf Quantencomputer über die Cloud gelingt, müssen spezielle Quantencomputing-Algorithmen entwickelt werden. Firmen wie IBM tun dies bereits erfolgreich.
In den folgenden Absätzen besprechen wir innovative Beispiele des Quantencomputings aus den Bereichen Automotive, Produktion, Logistik und Pharma.
Beim Bau eines neuen Autos sind die Ausgaben für Forschung und Entwicklung meistens am größten. Millionen werden für das Design und die Prüfung der einzelnen Fahrzeugteile ausgegeben. Dafür werden 3D-Modelle verwendet, die aber nicht zu 100 Prozent genau sind: Manche Details werden ausgelassen, andere werden überkonstruiert.
Quantencomputer lösen dieses Problem, indem sie alle wichtigen Elemente und deren Wechselwirkung hochpräzise simulieren. Sie berücksichtigen außerdem Faktoren wie Lärm, Vibrationen oder zusätzliche Belastungen. Quantencomputer können so die Entwicklungskosten senken und die Markteinführungszeit verkürzen.
Bei der Entwicklung von neuen Elektrofahrzeugen spielt die Leistung der Batterien eine sehr wichtige Rolle. Das Problem mit Batterien ist aber, dass nicht bekannt ist, was auf dem kleinsten, molekularen Level passiert, wenn sie in Betrieb sind. Dies macht gezielte Innovationen fast unmöglich.
Mercedes Benz arbeitet an einer neuen und höchst innovativen Quantencomputing-Strategie, um dieses Problem zu lösen. Mit einem Quantencomputer von IBM werden über die Cloud chemische Reaktionen in Batterien simuliert, die die Batterieleistung stark erhöhen könnten. Dies würde zu besseren Ladezeiten, einer längeren Lebensdauer der Batterien, weniger Energieverlusten durch Wärme und einer erhöhten Nachfrage nach E-Autos führen. Ein starkes Beispiel, wie Quantencomputing zur Energiewende beitragen kann.
Die Erstellung eines Prototypen ist ein kostspieliger Teil der Forschung und Entwicklung. Automobilhersteller geben bis zu 30 Prozent der gesamten F&E-Ausgaben aus, um Hardwarekomponenten im Vorfeld zu testen, sie zusammenzubauen und das Endprodukt zu testen.
Um dies zu verbessern, beauftragte BMW einen Hersteller von Quantentechnologie: die französische Firma Pasqal. Mit Hilfe der Quantencomputer von Pasqal schaffte BMW es, mehr virtuelle Tests durchzuführen und die Anzahl der erforderlichen Tests zu reduzieren. Dies hat zu einer Kostenreduzierung von 50 Prozent bei der Herstellung von Prototypen und Tests geführt.
In manchen Smart Factories belaufen sich die Produktionskosten auf bis zu 500 Milliarden Euro pro Jahr. Ein Produktivitätszuwachs von nur 1 Prozent würde jährlich einen Gewinn in Milliardenhöhe bedeuten, also bemühen sich die Hersteller um mehr Effektivität. Sie rüsten Altanlagen nach, automatisieren Prozesse mit Robotern oder bringen überall Sensoren und Tracker an. Das führt zwar schon zu gewissen Kostensenkungen – aber Quantencomputing wäre ein Game Changer.
Ein Vorbild sind Industrieroboter, die einfache Aufgaben wie das Streichen von Wänden übernehmen. Quantentechnologien werten alle wichtigen Kriterien - Treppen oder Anzahl der Ecken im Werk - aus und erstellen eine optimale Streckenplanung. Fabriken können so ihre Durchlaufzeiten verkürzen und Kosten sparen.
Auch bei der Wartung und Reparatur können Quantentechnologien eine Rolle spielen. Wenn ein Unfall passiert, ist es in der Regel schwer zu bestimmen, warum er passiert ist. Das Quantencomputing macht dies aber möglich, denn es berücksichtigt viel mehr Faktoren als das menschliche Auge oder herkömmliche Systeme es können. Hersteller wissen so, warum das Problem aufgetreten ist und wie es in Zukunft vermieden werden kann.
Bei der Fertigung von Autos passieren regelmäßig Fehler. Probleme in einer Produktionslinie können zum Beispiel zu Defekten in produzierten Autoteilen führen. Eine späte Entdeckung kann gefährliche Folgen haben und zu hohen Kosten führen.
Das spanische Startup Multiverse Computing und das Forschungszentrum Ikerlan haben einen Quantenalgorithmus entwickelt, der die Fehlererkennung in der Fertigungsstraße stark verbessert. Es untersucht die Defekte in produzierten Autoteilen mit Hilfe von Bildklassifizierung durch künstliche Intelligenz und vergleicht die Ergebnisse klassischer Computer mit denen von Quantencomputern. Das Ergebnis? Quantencomputer schneiden besser bei der Erkennung von Defekten ab.
Roman Orus, CSO bei Multiverse Computing:
Das maschinelle Lernen mit Quanten wird die Fertigungsindustrie erheblich verändern. Wir freuen uns, den Wert früher Anwendungen des Quantencomputings, wie das künstliche Sehen mit Quanten, bereits heute demonstrieren zu können.
Die Logistik wird von Tag zu Tag komplexer. Unternehmen arbeiten mit Tausenden von Lieferplänen, Lieferanten und Rechnungen. Wir haben bereits erklärt, wie innovative Technologien im Bereich des Logistikmanagements Prozesse optimieren können, aber Quantencomputing kann noch viel mehr. Es kann die Lieferketten und ihre verschiedenen Elemente in ein einziges Netzwerk integrieren. Das bedeutet das Ende der aktuellen Strategie, bei der die Planer ihre Aktivitäten unabhängig voneinander planen.
Eine klassische Logistik-App berechnet eine Route von A nach B und versucht, die zeit- und kosteneffektivste Option zu finden. Was kann eine App, die auf Quantencomputing basiert?
Diese Abläufe werden gleichzeitig und mit hoher Geschwindigkeit durchgeführt.
Speedel ist ein B2B-Kurierunternehmen aus Großbritannien, das für verschiedene Fertigungs- und Luftfahrtunternehmen arbeitet. Es setzt jeden Tag Hunderte von Fahrzeugen auf verschiedenen Routen ein. Die Planung der Routen ist hochkomplex, denn es gibt Milliarden von möglichen Varianten. Ein herkömmlicher Computer kann all diese Möglichkeiten nicht verarbeiten, also entschied sich das Team von Speedel für Quantencomputing.
Sie entwickelten eine praktische App, die auf Quantenalgorithmen basiert. Die App berechnet alle möglichen Optionen bei der Streckenplanung und führt Verkehrssimulationen durch. Anschließend wird die beste Option gefunden. Für Speedel bedeutet diese Herangehensweise eine enorme Zeit- und Geldersparnis. Und die Möglichkeit, mehr Sendungen in kürzerer Zeit zuzustellen.
Die Entwicklung neuer Arzneimittel ist ein teurer und aufwendiger Prozess. Es kostet schätzungsweise zwischen 137 Millionen und 3,86 Milliarden Euro, um ein einzelnes Medikament zu entwickeln. Außerdem schafft nur eines von 10 Medikamenten den Markteintritt, die anderen scheitern in der klinischen Entwicklungsphase. Quantencomputing kann die Kosten senken und den Prozess beschleunigen.
Arzneimittelforscher setzen Quantentechnologien unter anderem auf folgende Art ein:
Die französische Firma Qubit Pharmaceuticals nutzt Quantencomputer, um das Verhalten und die Wechselwirkungen von Molekülen zu modellieren. Es ist ein kleines Forschungsunternehmen, das nicht über die gleichen Ressourcen wie Big Pharma verfügt. Trotzdem konnte Qubit 2022 Algorithmen entwickeln, die in kürzester Zeit passende Wirkstoffe für neue COVID-19-Behandlungen ermittelt haben.
Mit Hilfe von Quantencomputing durchsuchte das Team von Qubit riesige Datensammlungen mit Wirkstoffen. Sie entdeckten die zwei vielversprechendsten Kandidaten, indem sie zahlreiche Simulationen durchführten und mögliche chemische Reaktionen modellierten. Die zwei Wirkstoffe brachten sie in die nächste Entwicklungsphase. Obwohl die Forschung noch nicht abgeschlossen ist, sind die schnellen Ergebnisse erstaunlich.
Dieser Artikel hat das enorme Potenzial des Quantencomputings gezeigt. Wenn die Entwicklungen sich wie erwartet durchsetzen, ist es sehr wahrscheinlich, dass Quantentechnologien die verschiedenen Bereiche unserer Gesellschaft revolutionieren werden. Bewährte Lösungen und Systeme werden erwartungsgemäß optimiert, ergänzt oder auch komplett ersetzt. Bei Softeq behalten wir die Entwicklungen ganz genau im Blick und wir freuen uns darauf, unseren Kunden individuelle, innovative und leistungsstarke Quantencomputing-Lösungen anbieten zu können.